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Ferdinand Sauerbruch wurde nach seinem Medizinstudium 1908 in relativ jungen Jahren zum Chirurgieprofessor an der Universität Marburg ernannt. Bereits zwei Jahre später erreichte ihn ein Ruf an die Universität Zürich, weil Rudolf Ulrich Krönlein, der amtierende Professor für Chirurgie in Zürich, schwer erkrankt war. Neben den ansässigen weiteren Chirurgen setzten sich auch Lungen- und Tuberkulosespezialisten aus Davos und St. Moritz für ihn ein, weil sie in seinen "Lungenoperationen mit Hilfe des Druckdifferenzverfahrens" eine Anwendung für ihre therapeutische Arbeit erkannten. Dabei operierte Sauerbruch an der offenen Lunge in einer Unterdruckkammer und verhinderte auf diese Weise, dass die Lunge während der Operation kollabierte. Entsprechend wurden sogleich nach Sauerbruchs Ankunft in Zürich die notwendigen Apparaturen installiert. Die Zeit in Zürich bezeichnete Sauerbruch als "die glücklichste Zeit meines Lebens". Er lebte an einem schönen Ort und wurde dank seiner chirurgischen Erfolge in alle Welt eingeladen. Um diese Jahre drehen sich auch einige Legenden. So soll Sauerbruch den russischen Aussenminister in Davos therapiert haben, welcher vor der Operation zu Sauerbruch sagte: "Sie tragen eine große Verantwortung! Ich muß am Leben bleiben! Denn ich habe eine gewaltige Aufgabe zu erfüllen! Es ist meine Aufgabe, Deutschland zu vernichten!" Ausserdem soll Sauerbruch eigenhändig Lenin einen Zahn gezogen haben, als dieser sich den Zahnarzt nicht leisten konnte.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, erbat sich Sauerbruch Urlaub und meldete sich als Kriegsfreiwilliger bei der deutschen Armee. Für seine Vorlesungen in Zürich wurde er jeweils von der Armee beurlaubt. Sauerbruch erinnert sich, dass er am Ende des letzten Semesters 1915 auf der Strasse Aurel Stodola, Professor für Maschinenbau und Maschinenkonstruktion an der ETH Zürich, traf und dieser über den Krieg zu wettern begann. Auf Sauerbruchs Schilderung der chirurgischen Probleme und der zahlreichen Amputationen antwortete Stodola, "dass es eben die Aufgabe der Ärzte sei, künstliche Glieder zu konstruieren". Auf diese Anregung hin beschäftigte sich Sauerbruch mit dem Problem und beriet sich immer wieder mit Stodola. Im gleichen Jahr noch setzte Sauerbruch einen Prototypen erfolgreich bei einem Soldaten ein. Darauf liess der Chef des Feldsanitätswesens der deutschen Armee sogleich ein Lazarett an der schweizerischen Grenze in Singen errichten, um die Prothesen einzusetzen. Resultat der Zusammenarbeit von verschiedenen Stellen war der sogenannte Sauerbruch-Arm, welcher offenbar sehr erfolgreich eingesetzt wurde. Von 539 Amputierten bis im Jahr 1929 waren über 90 Prozent berufstätig, wie Sauerbruch berichtete. Im Jahr 1915 eröffnete Sauerbruch eine Privatklinik, weil er seine Privatpatienten nicht mehr im Kantonsspital unterbringen konnte. Obwohl sich Sauerbruch in der Schweiz gemäss eigenen Aussagen wohlfühlte, zog es ihn nach Deutschland zurück und er nahm 1918 einen Ruf nach München an. Kurz nach seinem Amtsantritt wurde er vom König von Bayern zum Geheimen Hofrat sowie zum Generalarzt der bayerischen Armee ernannt. Er fand also im kriegsversehrten Deutschland die bürgerliche Welt wieder, welche er durch den Krieg in Gefahr sah, "jene bürgerliche Welt, die [er] in Zürich so glänzend repräsentiert sah und die [er] so liebte".